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Draculas Insel, Kerker des Grauens (10) Humunk, Kapitän
 
Sprecher Hannes Messemer
Markante Textbeiträge "Tja, hm ... Der Sturm könnte uns natürlich abgetrieben haben. Bestimmt, äh ... hat er das sogar. Also, ich vermute, wir befinden uns auf einer der Inseln, die der Küste von Transsylvanien vorgelagert sind."
"Lächerlich! Wir alle wissen doch, daß Graf Dracula tot ist! Es hat in allen Zeitungen gestanden!"
"Das Kreuz! Ins Feuer damit!"
"Willkommen im Schloß Graf Draculas, meine Lieben! Wir haben schon auf euch gewartet ...!"
Zur Person Kapitän der "Santa Maria", in dessen tödlichem Seemannsgarn sich schon so mancher Passagier rettungslos verstrickt hat. Zudem ein weiteres Beispiel für Graf Draculas eigenartige Strategie, Wölfe im Wolfspelz zu tarnen. Der Name Humunk (= Humunculus) gehört ja noch zu den subtileren Einfällen eines Vampirfürsten, welcher selbst schon mal unter dem Pseudo-Pseudonym Graf Cula auftritt. Höchst beachtlich auch in diesem Zusammenhang, daß Humunks Schiff "Santa Maria" getauft ist und nicht etwa "Lady Macbeth". Dennoch, wenigstens dem Matrosen Jim hätte es auffallen können, daß Humunk eine recht surreale Reiseroute einschlägt: Von Westeuropa über das Schwarze Meer nach Venedig? Auch Humunks schon legendäre Leistung, eine so lange Strecke per Segelschiff mithilfe eines einzigen Matrosen zu meistern, gehört längst mal relativiert. Schließlich handelt es sich nur um "eine kleine Brigg", deren zwei Masten schon zu Beginn von Seite Eins in die Wellen kippen. "Der Kapitän macht so etwas doch nicht absichtlich!" beschwichtigt Elenor mit der penetranten Naivität der höheren Tochter. Aber hallo! Unser mürrischer Seebär, für den der Erzähler nur ein Wort übrig hat: "düster", hatte nur diese Aufgabe: "Mit dem Schiff hier an dieser Insel zu stranden und Passagiere an Land zu bringen." Wie ein Milchmann seine Flaschen stellt Humunk seine Schützlinge dem Vampir direkt vor die Haustür, "weil Dracula unser Blut will". Was soll er auch sonst wollen?
Ganz offensichtlich hat sich Kollege Frankenstein bereits die Gehirne sämtlicher Gestrandeten unter den Nagel gerissen. Diese stellen sich nämlich so dümmlich an, dass der arme Humunk schier verzweifelt: "Ja, begreifen Sie denn nicht, Professor Dark? Unser Schiff ist ge-stran-det! Wir sind schiffbrüchig!" Und dann beginnt Prinzeßchen Elenor auch noch, ihn herumzuscheuchen ("Sie könnten eigentlich auch helfen, Herr Kapitän!" - "Iiich?"). Da könnte man schon verstehen, wenn der Käpt'n mit den Nerven am Ende wäre. Doch bei Humunk steckt noch mehr dahinter als bloßer Budenkoller, wenn er den Blutsaugern die Tür öffnet. Der Kapitän hat nämlich Nerven wie Drahtseile - im wörtlichen Sinne. Auch am Grafen Dracula geht die Industrialisierung nicht spurlos vorbei. Neuerdings verläßt er sich darum nicht mehr auf Wölfe beziehungsweise fehlgeleitete Sinti oder Roma, sondern auf Metall und Gummi aus den Kolonien. Die betreffende Szene verrät uns zweierlei:
1. H.G. Francis ist ein Genie in der Darstellung komplexer politischer Zusammenhänge. Die linken Intellektuellen Dark und Griest proben den Aufstand gegen die Autorität. Weil der Kapitän jedoch zu stark für einen schmalen Studenten ist, wiegelt dieser die Arbeiterschaft - Jim - auf. Zusammen entlarven sie den Uniformträger als Automaten des alten, reaktionären Adels (Dracula), welcher nur ein Ziel hat: Das Volk auszusaugen. Eine treffende Analyse der europäischen Zustände kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
2. H.G. Francis fand den Film "Alien - Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt" ziemlich ... nun ... inspirierend (siehe auch Folge 18: "Das Weltraum-Monster"). Wie sehr Humunk "eines Grafen Dracula würdig" ist, erweist nicht zuletzt seine technische Perfektion. So verfügt er ganz offensichtlich bereits über eine Art Emotionschip: Wenn Humunk den renitenten Jim mit Drohungen und Versprechen dazu bringen will, ihn am Leben zu lassen - reagiert er nicht weitaus menschlicher als Fachidiot Dark, der's gar nicht erwarten kann, endlich den Löffel abzugeben? Wenn der "närrische" Professor wie eine kaputte Platte auf seinem Termin beharrt, wenn er nicht von seinem Plan abzubringen ist, hundert Vampire fünf Minuten vor Sonnenuntergang zu pfählen, nur weil er das in einem Fachbuch gelesen hat - da stellt sich doch die Frage, wer hier der Roboter ist!
Weniger raffiniert ist Humunks Überzeugungskraft programmiert worden. Daß Dracula tot ist, nur weil es in der Zeitung stand - darauf dürften nicht mal die Schiffbrüchigen von Gilligans Insel reinfallen. Auch wenn es Spaß macht, sich die Schlagzeilen vorzustellen (BILD: "Die Blut-Bestie ist tot! Mina - ihr Mann betet für sie!", BUNTE: "Er starb wie ein echter Graf. Wer wird der neue Stern am rumänischen Hof?", SPIEGEL: "Draculas langer Schatten? Alles über das Attentat und seine Folgen für die Osterweiterung", PLAYBOY: "Dracula - Konnte er wirklich lieben? Sein Harem packt aus!"): solcherlei durchsichtige Manöver - "Wenn Sie das tun, wird Dracula Sie alle töten!" Und andernfalls? - kosten ihn schließlich den Kopf.
Doch wenn auch Humunk den Bach runter geht - schließlich gibt es ja noch das organische Vorbild, den echten "Kapitän, wie er früher einmal gelebt hat". Und da dieser als Vampir ewig existiert, wird es auch immer neue Kopien geben, die mit dem alten Knoblauchjunkie Doran unsere Gruftikommune frischhalten ... (vp)
 
 
 

 

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© Die Gruselseiten (26. Oktober 2001)