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Frankensteins Sohn im Monster-Labor (1)

Dracula und Frankenstein, die Blutfürsten (2)

Frankenstein, Dr.
... der Roman von Mary Shelley
 
Markantes Zitat "Es war ein trüber Novemberabend, als ich die Frucht meiner Bemühungen sah. Mit einer Spannung, die fast zu einer Agonie wurde, ordnete ich die Instrumente um mich, die dem zu meinen Füßen liegenden Ding den Lebensfunken geben sollten. Es war schon ein Uhr nachts, der Regen prasselte unheilvoll an die Fensterscheiben, und meine Kerze war beinahe heruntergebrannt, als ich im Schimmer des halb erloschenen Lichtes sah, wie sich das stumpfe gelbe Auge des Geschöpfes öffnete. Es atmete mühsam, und ein krampfhaftes Zittern ging durch seine Glieder." (Die komplette Schöpfungsszene in Mary Shelleys "Frankenstein")
Zum Roman In "Des Teufels Wörterbuch" definiert Ambrose Bierce die Gattung "Roman" als "wattierte", also zu lang geratene Kurzgeschichte. Das ist zwar in erster Linie böse, doch von Zeit zu Zeit liest man schon mal einen Roman, bei dem die Umschreibung zutrifft. Mary Shelleys "Frankenstein oder Der moderne Prometheus" ist so ein Roman. Ursprünglich war der "Frankenstein" nur als Kurzgeschichte gedacht, und hätte Mary Shelley daran festgehalten, wäre wohl ein besserer Text entstanden. Doch der Reihe nach:
Mary Shelley (1797-1851) war die Tochter des englischen Philosophen William Godwin und der Frauenrechtlerin und Literatin Mary Wollstonecraft Godwin. Gerade 16jährig, wurde sie die Geliebte Percy Bysshe Shelleys, neben Lord Byron wohl der bedeutendste Dichter der englischen Romantik. Im Sommer 1816 hatte sich besagter Lord Byron, eine in jeder Hinsicht schillernde Persönlichkeit, zusammen mit seinem jungen Leibarzt und Gelegenheitsliebhaber Dr. John Polidori in einer Villa am Genfer See eingemietet und lud Percy Shelley und Mary Godwin (Mrs. Shelley wurde sie erst im Dezember 1816) zu sich ein. Darüber hinaus war auch Marys Stiefschwester Claire mit von der Partie, die zu jener Zeit von Byron schwanger war. (Dieses Treffen hat Mary Shelley - natürlich arg geglättet - erstmals 1831 in einem Frankenstein-Vorwort dargestellt. Auch Filmschaffende hat es inspiriert: So bildet es die Rahmenhandlung von James Whales "Frankensteins Braut" (1935), Teile der Handlung von "Roger Corman's Frankenstein" (1990) und ist sogar alleiniger Gegenstand der Filme "Gothic" (1987) von Ken Russell und "Schwarzer Sommer" (1988) von Ivan Passer.) Der Schweizer Sommer war ziemlich verregnet, und die Herrschaften langweilten sich. Man vertrieb sich die Zeit mit der gemeinsamen Lektüre von ins Französische übertragenen deutschen Spukgeschichten, und Lord Byron schlug vor, man könne in einer Art Wettbewerb selbst Spukgeschichten schreiben, was alle für eine gute Idee hielten. Dann aber fielen alle Beteiligten in ein tiefes kreatives Loch. Ob Shelley sich überhaupt an etwas setzte, weiß man nicht. Polidori dachte sich eine alberne Geschichte über eine Frau aus, die irgend etwas Schreckliches sieht und deshalb alle ihre Haare verliert. Byron begann eine Vampirgeschichte, die aber Fragment blieb. Mary fiel überhaupt nichts ein. Nichts deutete darauf hin, daß Byrons spontaner Einfall für das gesamte Horrorgenre entscheidend werden sollte. Später aber griff Polidori Byrons Vampirgeschichte auf und arbeitete sie um. Seine anonym erschienene und zunächst Byron zugeschriebene Erzählung "The Vampyre" war ein überwältigender Erfolg und führte den Vampirstoff in die englische Literatur ein. Die Folgen sind bekannt. Mary hingegen hatte, angeregt von Gesprächen Byrons und Shelleys über das Wesen des Lebens, die Idee zu "Frankenstein". (Den Namen "Frankenstein" übernahm sie wahrscheinlich von einer mittelalterlichen Burg nahe der Stadt Germersheim in Rheinland-Pfalz.) Ihr schwebte vor, wie ein "blasser Student unheiliger Künste" einen künstlichen Menschen zum Leben erweckt, dann entsetzt flieht, um später aus dem Schlaf aufzufahren und das "gräßliche Wesen" an seinem Bett stehen zu sehen, also das, was später das fünfte Kapitel wurde. Shelley erkannte, wie grandios Marys Einfall war, und regte sie an, die Idee weiterzuentwickeln. So wurde aus der Kurzgeschichte ein dreibändiger Roman, der im April 1817 beendet und im März 1818 anonym veröffentlicht wurde. Die anonyme Verfasserschaft war damals gerade bei weiblichen Belletristikautoren nicht ungewöhnlich und kein Zeichen (mangelnder) literarischer Qualität: auch die Romane Jane Austens waren in den Jahren zuvor mit dem schlichten Hinweis "by a lady" publiziert worden.

Zum Inhalt (da in den heutigen Ausgaben Hinweise auf die ursprüngliche Unterteilung des Werkes in drei Bände fehlen, wird sie im Folgenden berücksichtigt):
Band 1: Irgendwann im 18. Jahrhundert ist der junge englische Abenteurer Robert Walton in einem gemieteten Schiff auf Forschungsreise im Nordpolarmeer unterwegs, wo er große Entdeckungen zu machen hofft. Während das Schiff immer wieder Gefahr läuft, gänzlich vom Eis eingeschlossen zu werden, beobachtet die Mannschaft in der Ferne einen Hundeschlitten, der von einem riesenhaften Wesen gelenkt wird. Am nächsten Tag erreicht ein zweiter Schlitten, auf einer Eisscholle treibend, das Schiff, doch sein halb erfrorener und völlig erschöpfter Lenker kommt nur widerwillig an Bord. Auch nachdem er geschlafen und gegessen hat, benimmt sich der Fremde merkwürdig, obwohl er sich zugleich als kultivierter Mann erweist und Walton in ihm schnell den Freund sieht, den er sich für die Reise gewünscht hat. Walton erzählt dem Fremden von seinem bedingungslosen Forscherdrang, was diesen aber nur verzweifeln läßt. Quasi als Warnung beschließt der Fremde - natürlich niemand anderes als Victor Frankenstein -, Walton seine Lebensgeschichte zu erzählen, was er in der folgenden Woche auch tut:
Victor Frankenstein stammt aus Genf und ist der älteste Sohn eines angesehenen Juristen. (Frankenstein ist also, anders als in vielen Filmen, kein Baron.) Er hat zwei jüngere Brüder, William und Ernest, und eine 1 Jahr jüngere Adoptivschwester: das Waisenmädchen Elisabeth Lavenza. Victors Kindheit ist glücklich, doch nicht zuletzt sein ungeheurer Lerneifer macht ihn zu einem Einzelgänger. Sein einziger Freund ist sein literarisch interessierter Schulkamerad Henry Clerval. Victor vertieft sich in die Naturwissenschaften, liest die Werke der Alchimisten Cornelius Agrippa, Paracelsus und Albertus Magnus, beschäftigt sich mit Elektrizität und Galvanismus, verliert dann aber plötzlich jedes Interesse daran. Als Victor 17 Jahre alt ist, stirbt seine Mutter an Scharlach; Elisabeth übernimmt fortan die Rolle der Hausdame. Victor bricht nach Ingolstadt auf, um dort zu studieren. In Ingolstadt angekommen, mietet er sich ein Zimmer und sucht die Professoren auf, für die er Empfehlungsschreiben hat. Der erste ist der etwas mürrische Naturphilosoph Krempe, der Victor eröffnet, seine alchimistischen Privatstudien seien fauler Zauber und er müsse noch einmal von vorne anfangen. Victor gibt Krempe zwar recht, kann den nüchternen Naturwissenschaften aber auch nicht viel abgewinnen. Eher aus Langeweile besucht er die Vorlesung des Chemie-Professors Waldmann, der ihn sofort in seinen Bann zieht und alte Leidenschaften wiedererweckt. Nach zwei Jahren ist er in den Naturwissenschaften umfassend ausgebildet. Er beschäftigt sich nun mit plötzlichem Feuereifer mit dem "Lebensprinzip" und entdeckt es. Er ist nun in der Lage, "leblosen Stoff zu beleben". Victor sieht sich schon als Schöpfer einer neuen Gattung, und völlig besessen beginnt er, aus Leichenteilen ein menschliches Wesen, 2,5 Meter groß, zusammenzusetzen. (Wie das mit menschlichen Gliedmaßen funktionieren soll - wer weiß ...?) Isoliert von der Außenwelt und die Briefe seiner Familie ignorierend, bastelt er monatelang an seinem Geschöpf. In einer Novembernacht schließlich haucht er dem Geschöpf das Leben ein, doch schon im gleichen Moment erkennt er, was für ein abstoßendes, häßliches Ungetüm er geschaffen hat. Victor stürzt in sein Schlafzimmer, schläft ein; von Alpträumen geplagt, wacht er auf und sieht das Geschöpf an seinem Bett stehen. Er rennt hinaus und irrt durch die Straßen, bis er am Morgen Henry Clerval in die Arme läuft, der gerade in Ingolstadt eingetroffen ist, um orientalische Sprachen zu studieren. Sie gehen in Victors Wohnung. Das Geschöpf ist fort. Victor bricht plötzlich zusammen, von einem Nervenfieber gepackt. Monatelang pflegt Henry den bettlägerigen Freund. Im Frühjahr ist Victor wieder auf den Beinen. Gut ein Jahr genießt er mit Henry das Studentenleben, die Erinnerung an sein Geschöpf verdrängend, da erreicht ihn ein Brief seines Vaters Alphonse: Victors kleiner Bruder William wurde von einem Unbekannten ermordet. Sofort reisen er und Henry in die Heimat. Kurz vor Genf macht Victor einen nächtlichen Spaziergang und sieht plötzlich im Züngeln der Blitze sein Geschöpf, das aber schnell verschwindet. Sofort ist er überzeugt, daß der "Unhold" seinen Bruder getötet hat. Zu Hause angekommen, erfährt er aber, daß Justine Moritz, eine junge Hausdienerin der Frankensteins, als Mörderin verhaftet wurde. Man hatte ein Medaillon Williams bei ihr gefunden. Victor ist von ihrer Unschuld überzeugt, behält aber unter Gewissensqualen seinen Verdacht für sich und erzählt niemandem von seinem Geschöpf. Justine wird zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Band 2: Victor, von Selbstzweifeln zerfressen, sucht Erholung in den Alpen. Im Gletschermeer bei Chamonix sieht er plötzlich sein Geschöpf auf sich zukommen. Er beschimpft und verflucht es, doch das Geschöpf antwortet erstaunlich eloquent und besonnen und bringt ihn dazu, es anzuhören. In einer verlassenen Berghütte erzählt das Geschöpf nun die Geschichte seines kurzen Lebens: Nach seiner Belebung flieht das Geschöpf in einen Wald nahe Ingolstadt, wo es fast ein Jahr lebt und die elementaren Dinge des Lebens und der Natur erlernt. Schließlich trifft es auch auf Menschen, doch die ergreifen entsetzt die Flucht vor ihm oder versuchen, es zu vertreiben. Das Geschöpf flieht und kommt zu einem kleinen Bauernhaus, in dessen Schuppen es sich versteckt. Durch eine Ritze in der Wand kann es in das angrenzende Haus blicken und so am Leben seiner Bewohner, vor denen es sich verborgen hält, teilnehmen. Die Bewohner sind ein alter, blinder Mann namens De Lacey und seine beiden erwachsenen Kinder Felix und Agatha. Das Geschöpf lauscht ihnen und beginnt so langsam, sprechen zu lernen. Es begreift, daß die Familie sehr arm ist und oft hungert. Tagsüber beobachtet es die Familie, deren zärtliches Miteinander es bewundert und an dem es teilzuhaben wünscht, nachts nimmt es ihr manche liegengebliebene Arbeit ab und versorgt sich selbst. Im Frühjahr bekommt das Haus eine neue Mitbewohnerin: eine junge Frau namens Safie, die aber nur eine fremde Sprache spricht. Die Familie erteilt Safie Sprachunterricht, an dem mittelbar auch das beobachtende Geschöpf "teilnimmt". Auf gleiche Art und Weise lernt es Lesen und erwirbt recht umfangreiche Geschichts- und Geographiekenntnisse. Es erfährt auch die gar traurige Geschichte der einstmals reichen, aus Frankreich stammenden Familie: Safies Vater, ein türkischer Kaufmann, war in Paris zu Unrecht verhaftet und zum Tode verurteilt worden. Aus Liebe zu Safie befreite Felix den Unglücklichen und verhalf ihm zur Flucht. Doch Felix wurde überführt und die ganze Familie De Lacey enteignet und verbannt. Der undankbare Kaufmann wollte nun nichts mehr von ihnen wissen, aber Safie floh letztlich in die Arme ihres Felix. Eines Tages findet das Geschöpf Bücher von Plutarch, Milton und Goethe, die es verschlingt, und entdeckt dann in seinem Gewand Victors Tagebuch, aus dem es die Einzelheiten seiner Schöpfung erfährt. Seine Isolation und Andersartigkeit werden ihm nun überdeutlich bewußt. Endlich beschließt es, sich der Familie zu entdecken. Als der alte De Lacey allein im Haus ist, tritt es ein und versucht, sein Vertrauen zu gewinnen; doch da kommen die anderen zurück, und Felix verjagt das Geschöpf sofort. Die De Laceys verlassen das Haus für immer. Das Geschöpf erkennt nun, daß es bei den Menschen niemals Freundschaft und Liebe finden wird. Es macht sich nach Genf zu seinem Schöpfer auf, begegnet aber zuerst zufällig William. Als es erkennt, wen es vor sich hat, tötet es den Jungen. In einer nahen Scheune findet es die schlafende Justine und steckt ihr Williams Medaillon, das es der Leiche abgenommen hatte, in die Tasche - ihr Todesurteil. Das Geschöpf beendet seinen Bericht und verlangt nun von Victor, ihm eine ähnlich abstoßende Gefährtin zu schaffen, da nur eine solche ihn lieben könne. Es schwört, sich mit seiner Frau für immer von den Menschen fernzuhalten, und droht zugleich, im Falle einer Weigerung Verderben zu bringen. Nach anfänglichem Widerwillen stimmt Victor zu.
Band 3: Wieder daheim, beschließt Victor, nach England zu fahren und dort die Frau zu erschaffen, um das Geschöpf von seiner Familie wegzulocken. Vorher verspricht er seinem Vater, nach seiner Rückkehr Elisabeth zu heiraten. In Straßburg stößt Henry zu ihm, und gemeinsam reisen sie nach England und weiter nach Schottland. Dort trennen sie sich. Victor weiß, daß ihn sein Geschöpf verfolgt, und setzt sich auf eine abgelegene Orkney-Insel ab. In einer unbewohnten Hütte beginnt er, die Frau zusammenzusetzen, doch eines Nachts überfallen ihn Skrupel und Zweifel (z.B.: Was ist, wenn sich die Frau nicht an den Eid des Geschöpfes gebunden fühlt? Was ist, wenn sie sich fortpflanzen?), und zerstört sein begonnenes Werk. Das Geschöpf, das ihn die ganze Zeit beobachtet hat, tritt in die Hütte und stellt ihn wütend zur Rede: "Du bist mein Schöpfer, aber ich bin dein Herr." Als Victor sich standhaft weigert, die Frau wieder zusammenzusetzen, schwört das Geschöpf grausame Rache: "Ich werde in deiner Hochzeitsnacht bei dir sein!" Dann verschwindet es. Victor beseitigt alle Spuren seines Tuns und verläßt die Insel, doch sein Ruderboot wird von Strömungen und Winden erfaßt und nach Irland getrieben. Kaum an Land, wird er wegen Mordes verhaftet. Der Ermordete ist niemand anderes als Henry, der kurz zuvor erwürgt ans Ufer gespült worden war. Victor bricht zusammen und erkrankt mal wieder an einem heftigen Fieber. Nach zwei Monaten ist er wieder gesund, und auch im Mordprozeß wird er freigesprochen. Sein unterdessen alarmierter und herbeigeeilter Vater reist mit ihm zurück in die Schweiz. Victor bezichtigt sich zwar oft des Mordes an Justine, William und Henry, wird aber nicht ernstgenommen, da er die Existenz seines Geschöpfes weiter verheimlicht. Elisabeth entbindet Victor aus Minderwertigkeitskomplexen von seinem Eheversprechen, doch er erklärt ihr seine Liebe und verspricht, ihr einen Tag nach der Hochzeit alles zu erzählen. Die beiden heiraten, und Victor weiß, daß nun die Entscheidung naht. Doch er begeht den entscheidenden Fehler: Er läßt Elisabeth allein. Während er mit Pistolen das Hotel durchsucht, dringt das Geschöpf in das Zimmer des Paares ein und ermordet Elisabeth. Beim Anblick seiner toten Frau fällt Victor in Ohnmacht. Als er wieder zu sich kommt, steht das grinsende Geschöpf vor dem Fenster. Victor eröffnet das Feuer und nimmt die Verfolgung auf - vergebens. Er kehrt nach Hause zurück. Als sein Vater von Elisabeths Tod erfährt, bricht er zusammen und stirbt kurz darauf. Victor wendet sich nun mit der Wahrheit an die Behörden. Doch nachdem er erfährt, daß ihm weder Glauben geschenkt noch effektive Hilfe gewährt wird, beschließt er, das Geschöpf selbst zu jagen und zur Strecke zu bringen. Selbst am Grab seiner Familie erwartet ihn sein höhnisches Geschöpf. Jahrelang verfolgt er es durch die ganze Welt, folgt den Spuren, die es absichtlich hinterläßt: "Du lebst, und meine Macht ist vollkommen."
Waltons Schiff ist völlig vom Eis umschlossen, als Victor seine Geschichte beendet. Die Mannschaft droht zu meutern, sollte Walton sich weigern, die Expedition bei der ersten Gelegenheit abzubrechen. Victor versucht mit einer flammenden Rede, die Männer umzustimmen, doch Walton stimmt der Umkehr notgedrungen zu. Victor, vom Tode gezeichnet, bittet Walton, an seiner Stelle das Geschöpf zu vernichten. Dann stirbt er. Kurz darauf hört Walton Geräusche aus Victors Kabine. Dort trifft er auf das Geschöpf, das den Toten beklagt. Es erläutert Walton sein eigenes Leid und daß ihm seine Untaten keine Genugtuung verschafft, sondern vielmehr seine Qual verstärkt hätten. Nach Victors Tod hat das Geschöpf seinen letzten Halt verloren. Es will mit seinem Floß nach Norden fahren - die Eisdecke ist inzwischen geschmolzen - und sich auf einem Scheiterhaufen den Flammen aussetzen, um im Tod Frieden zu finden. Dann springt das Geschöpf aus dem Kabinenfenster, und rasch verschwindet sein Floß in der Dunkelheit.

Das Buch erhielt gemischte Kritiken und war ein sehr bescheidener Erfolg. Erst mit den bald einsetzenden Dramatisierungen erlangte auch das Buch eine gewisse Popularität und weitere Auflagen. (Die erste Dramatisierung war das melodramatische Stück "Anmaßung; oder Das Schicksal Frankensteins" von Richard Brinsley Peake aus dem Jahr 1823.) Die erste deutsche Ausgabe erschien 1912 in Leipzig. Nach dem frühen Tod Percy Shelleys 1822 mußte Mary sich und ihren Sohn Percy (ihre anderen vier Kinder überlebten das Kleinkindalter nicht) allein durch die Schriftstellerei ernähren, doch all ihre kommenden Werke, darunter der apokalyptische Roman "The Last Man" (1826), sind heute vergessen. Den beginnenden Ruhm des "Frankenstein" hat sie noch miterlebt, reich gemacht hat er sie nicht. Mary Shelley starb 1851, erst 53jährig.
Nun, über Tote soll man ja nichts Schlechtes sagen, aber um der (immer subjektiven) Wahrheit willen: Ein gutes Buch ist "Frankenstein oder Der moderne Prometheus" nicht. Mary Shelley entstammte literarisch höchsten Kreisen und versuchte, ein entsprechendes Werk zu schaffen. Sie wollte mehr als nur eine Spukgeschichte. Bei der Lebensgeschichte Frankensteins macht sie deutliche Anleihen beim Faust-Stoff; die Biographie des Geschöpfes ist dem Genre des Bildungsromans nachempfunden. Doch ihre Talente reichten nicht für das Buch, das ihr vorschwebte; sie deklamiert nur die Tragik und Bedeutungsschwere des Stoffes, anstatt sie zu zeigen und von selbst lebendig werden zu lassen, und verwechselt überladenes Pathos mit literarischer Qualität. Tatsächlich lebt der Roman ausschließlich von seiner genialen Grundidee. Der Stil des Romans ist blumig und oft genug hohles Geschwätz. Der Fairness halber muß aber gesagt werden, daß dafür zu einem guten Teil Percy Shelley verantwortlich war, der das Manuskript las und Mary zu Ausschmückungen und "mehr Rhetorik" anregte. Das hat dem Roman nur geschadet. Zwei Stilblüten:
1. Frankenstein zu seinem Geschöpf im Gletschermeer: "Du Teufel [...], du wagst es, dich mir zu nähern? Fürchtest du nicht die furchtbare Rache meines Armes, der deinen elenden Kopf zerschmettern wird? Weg mit dir, du widerliches Ungeziefer! Oder nein, bleibe, damit ich dich zu Staub zertreten kann! [...]"
2. Frankenstein am Grab seiner ermordeten Verwandten: "Ich rufe euch an, Geister der Toten [...]. Laßt das verfluchte teuflische Ungeheuer aus dem Kelch der Seelennot trinken, laßt es die Verzweiflung fühlen, die mich jetzt quält."
In diesem Tonfall ist der ganze Roman geschrieben: voll von pathetischen Beschwörungen, dafür arm an Spannungsmomenten (von Horror ganz zu schweigen). Hinzu kommt die verschachtelte Struktur des Romans: Auf Briefe Waltons an seine Schwester Margaret Saville folgt die von Walton niedergeschriebene Lebensbeichte Frankensteins (aus dessen Perspektive erzählt und von ihm selbst korrekturgelesen und autorisiert). Innerhalb dieses Berichtes findet sich auch die umfangreiche Lebensgeschichte des Geschöpfes, wiederum aus dessen Sicht. Das Ende des Romans bilden wieder die Aufzeichnungen Waltons.

Es versteht sich von selbst, daß in den Roman alles nur Denkbare hereininterpretiert worden ist: So sah man in ihm unter anderem Marys Verarbeitung des Todes ihres ersten Kindes, eine Kritik an den Anschauungen der Romantik, eine Metapher auf das Entstehen des urbanen Industrieproletariats (personifiziert im Geschöpf), eine Polemik auf die damals noch rein männliche Wissenschaft und den Schmerz des Mannes, keine Kinder gebären zu können, und nicht zuletzt einen Vorläufer der Science Fiction.
Irgend jemand hat einmal gesagt, daß ein Klassiker ein Buch ist, das niemand gelesen hat, aber jeder zu kennen glaubt. Nach dieser Definition ist "Frankenstein" auf jeden Fall ein Klassiker. Ich weiß nicht, ob H.G. Francis das Buch gelesen hat - wenn ja, hat er es innerhalb der Gruselserie perfekt verborgen. Das ist zweifellos schade, da man auch aus Mary Shelleys Originalgeschichte viel machen kann, wenn man die ständigen schwülstigen Reflexionen beiseite läßt und den durchaus vorhandenen starken Szenen des Romans breiten Raum gibt. Sollte die Gruselserie also wider Erwarten doch noch einmal fortgesetzt werden, wäre ein Frankenstein-Pendant zu Folge 3 weit oben auf meiner Wunschliste. Aus der Ferne hört man schon (Ruhe in Frieden, Günther U.) Erzähler Karl Walter Diess unheilvoll ansetzen: "Es war ein trüber Novemberabend ..." (dl)

 
 
 

 

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© Die Gruselseiten (09. November 2001)